23/5/2024

Paolo Tarolli: Was es bedeutet, Forschung in der Landwirtschaft zu betreiben

Valentina Dalla Villa
Spezialist für Kommunikation und Veranstaltungen

Paolo Tarolli, Professor für Agrarhydraulik an der Universität Padua, ist einer der klügsten Köpfe der europäischen und globalen Landwirtschaft. In diesem kurzen Interview spricht er über seine Grundlagenforschung, die Bedeutung von Big Data und KI für die Landwirtschaft von heute und morgen und die (hochtechnologischen, aber auch traditionellen) Antworten auf die große und dramatische Herausforderung des Klimawandels.  

Herr Tarolli, woran forschen bzw. woran arbeiten Sie gerade genau?

Der Schwerpunkt meiner Forschungsgruppe liegt auf den Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft, insbesondere auf zwei Arten der Landwirtschaft: der sogenannte „agricoltura eroica“ (heroische Landwirtschaft), also der Terrassenlandwirtschaft in steilen Hanglagen, und der „agricoltura costiera“ (Küstenlandwirtschaft), mit der wir uns in den letzten drei Jahren beschäftigt haben. Um diese beiden Arten von Landwirtschaft zu untersuchen, nutzen wir massiv Big Data mit Hilfe von Satelliten und Drohnen, um die Auswirkungen des Klimawandels auf diese beiden Extrembedingungen quantifizieren zu können: Starkregen, d.h. intensive und lokal begrenzte Niederschläge, die insbesondere in Bergregionen zu Bodendegradation, Erosion, Erdrutschen und hydrogeologischen Störungen führen. Trockenheit, ein Phänomen, das die Landwirtschaft ganzer Nationen beeinträchtigen kann, wie es 2022 in Spanien, Frankreich, Italien und vielen anderen Teilen Europas der Fall sein wird.  

Sie haben die Bedeutung von Daten in Ihrer Forschung hervorgehoben. Werden sie auch für die Landwirte und das Betriebsmanagement immer wichtiger?

Oh ja, auf jeden Fall.  

Lassen Sie uns über das Thema Wasserknappheit sprechen. Das ist einer der Schwerpunkte Ihrer Forschungsgruppe, nicht wahr?  

Richtig, mit meiner Forschungsgruppe arbeiten wir daran, die Auswirkungen von Trockenheit auf landwirtschaftliche Gebiete in Hanglagen und vor allem an der Küste zu verstehen. Ziel ist es, mit Hilfe der gewonnenen Informationen Anpassungslösungen zu finden, die eine nachhaltige Wassernutzung fördern und nachhaltig sind (geringe Umweltauswirkungen). Ein Beispiel ist das Sammeln von Wasser während einer Regenperiode und dessen Speicherung in Mikroteichen für die Wiederverwendung in Notsituationen und bei Wasserknappheit. Es geht auch darum zu verstehen, wie sich die Landwirtschaft durch gezielte Maßnahmen an zunehmende Trockenperioden anpassen kann.

Um noch einmal auf die massive Nutzung von Daten zurückzukommen: Welche Technologien setzen Sie für Ihre Experimente ein?

Computer Vision und Fernerkundung spielen eine sehr wichtige Rolle. Alle Mitarbeitende meiner Forschungsgruppe nutzen Cloud-Plattformen für den Zugang zu und die Analyse von umfangreichen Satellitendaten im Open-Access-Format. Zum Beispiel, um den Vegetationszustand bei Trockenheit zu untersuchen. Wir setzen aber auch viel Drohnen ein und verarbeiten die von ihnen aufgenommenen Bilder mit Computer Vision, um mit der Structure-from-Motion-Photogrammetrie-Technik sehr hoch aufgelöste dreidimensionale Modelle in Terrassengebieten zu erstellen, in denen heroische Landwirtschaft betrieben wird. Mit diesen Modellen können wir dann ein intensives Niederschlagsereignis simulieren und die Bereiche kartieren, in denen ein Hang von Erosion oder einer Krisensituation wie einem Erdrutsch betroffen sein könnte. Der Landwirt kann diese Informationen nutzen, um diese Phänomene zu verhindern und abzuschwächen oder sogar aktiv zur Minderung hydrogeologischer Störungen beizutragen.

Und wie kann die Nutzung von Satellitendaten bei der Bewältigung des Phänomens des Wassermangels helfen?  

Mit Hilfe der Analyse von Satellitendaten ist eine großflächige Untersuchung dieses Phänomens möglich. Mit Hilfe von Satelliten können wir beispielsweise Gebiete identifizieren, in denen die Vegetation aufgrund von Stressbedingungen Probleme mit dem Wachstum hat. Indem wir diese Daten mit den Analysen der vergangenen Jahre vergleichen, können wir auch den Schweregrad der Situation unter Berücksichtigung der Historie abschätzen. Auf dieser Grundlage können wir Gefahrenkarten erstellen und so genannte Hot Spots identifizieren, in denen die Vegetation durch Trockenperioden unter Stress gerät. In unserer Arbeit über die Küstenlandwirtschaft kombinieren wir diese Analyse mit Daten über das Eindringen von Salzwasser, das an den Küsten - vor allem in den Deltas - zu einem sehr ernsten Problem geworden ist. Ein Beispiel dafür ist der Po.  

Was passiert da?

In Trockenzeiten sinkt die Fließgeschwindigkeit des Flusses und Meerwasser strömt in die Seitenarme des Deltas. Dadurch dringt Salzwasser in den Boden ein, was sich auch stark auf die betroffenen landwirtschaftlichen Flächen auswirkt. Es kommt zu Mikrodesertifikation und großen Flächen, auf denen die Pflanzen durch den Salzgehalt gestresst sind. Durch die Verarbeitung von Satellitenbilddaten ist es möglich, diesen Prozess in seinem tatsächlichen Ausmaß zu erfassen und zu verstehen, wann und in welcher räumlichen Ausdehnung die Vegetation gestresst ist.  

Die Nutzung von Daten ist daher für die Nachhaltigkeit von entscheidender Bedeutung, da sie es uns ermöglicht, die Entwicklung eines Phänomens zu beobachten, genau zu verstehen, wo die Situation am gravierendsten ist, und geeignete Minderungs- oder Anpassungsmaßnahmen zu untersuchen.

Ganz genau. Wenn man die Karte der Hot Spots hat, kann man sie mit anderen Informationen ergänzen, zum Beispiel über die Art der Landwirtschaft und die angebauten Pflanzen. So kann man die Maßnahmen sehr genau steuern. Dies ist sehr wichtig, da einer der häufigsten Denkfehler darin besteht, zu glauben, dass man überall in Europa die gleiche Lösung für das Problem der Trockenheit oder der Erosion in den Hügeln anwenden könne. Das ist aber ein Irrtum, denn jeder Ort hat seine eigenen klimatischen und bodenspezifischen Besonderheiten, seine eigene Kultur und Tradition, die bei den Maßnahmen berücksichtigt werden müssen.  

Wenn wir an einen landwirtschaftlichen Betrieb denken, können wir mit Hilfe der Daten auch herausfinden, wo in einer Trockenperiode der größte Wassermangel herrscht, und so die Wasserversorgung viel präziser und nachhaltiger kalibrieren, nicht wahr?   

Richtig. Bei der Präzisionslandwirtschaft geht es darum, dort einzugreifen, wo es nötig ist, zum richtigen Zeitpunkt und mit der richtigen Menge an Wasser oder Dünger zum Beispiel. Für all dies sind datengestützte Karten in allen Maßstäben wichtig, und Satelliten oder Drohnen können zu unverzichtbaren Instrumenten werden, um Vorgaben für spezifische und effiziente Eingriffe zu liefern.  

Wie beurteilen Sie den Einsatz von künstlicher Intelligenz in diesem Zusammenhang?  

Künstliche Intelligenz ist die Zukunft, ob es uns gefällt oder nicht. Es ist eine Revolution, bei der es falsch wäre, nicht dabei zu sein. Angesichts von Big Data (große Datenmengen, die in kurzer Zeit generiert werden, immer präziser werden und aus verschiedenen Quellen stammen) und der immer leistungsfähigeren Rechenkapazitäten von Maschinen ist es unvermeidlich, sich auch der KI und damit den Techniken des maschinellen Lernens zuzuwenden (die an sich nicht neu sind), die eine immer präzisere Diagnose und Vorhersage von Problemen ermöglichen. Hier wird in den nächsten Jahren ein neues Kapitel aufgeschlagen.

Wie wird das Thema Digitalisierung von den Akteuren wahrgenommen, mit denen Sie häufig bei Seminaren und Konferenzen zu tun haben? Wie ist das bei den Konsortien für Flurbereinigung?

Das ist ganz entscheidend. Wirklich sehr entscheidend. Das Interesse an der Digitalisierung von Daten und an der Nutzung von Satellitendaten ist bei den Konsortien für Flurbereinigung und bei den landwirtschaftlichen Verbänden groß. Sie sind sich darüber im Klaren, dass dies der Weg in die Zukunft ist.  

Gibt es Fallstudien im Ausland, die für die italienische Landwirtschaft in Bezug auf Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel, insbesondere hinsichtlich der Auswirkungen auf den Wasserkreislauf, interessant sein könnten?

Sagen wir mal so: Überall, wo wir Landwirtschaft betreiben, finden wir Fallstudien. Diese Fallstudien haben vielleicht weniger mit Technologie als mit traditionellem Wissen zu tun und ich bin der Meinung, dass wir beide Aspekte mehr und mehr miteinander verbinden müssen. Betrachten wir die Technik der Mikroteiche, Lösungen zum Sammeln und Speichern von Regenwasser. Das Wasser wird gesammelt, aber nicht in einem großen Reservoir, das große Auswirkungen auf die Umwelt haben kann! Nein, wir sprechen von einem kleinen Reservoir, einem kleinen Becken von zwanzig oder fünfzig Kubikmetern, maximal hundert. In diesem Mikroreservoir sammeln wir bei starken Regenfällen Wasser, das in Trockenzeiten sehr wertvoll sein kann. Das gilt vor allem für die Hanglagen, wir sprechen nicht von den Ebenen.

Und das ist traditionelles Wissen?

Ja, das ist es. In Äthiopien, Kenia, Nepal, Myanmar, Vietnam und Südchina ist dies eine alte und weit verbreitete Praxis in landwirtschaftlichen Gebieten mit steilen Hängen. Vereinfacht gesagt: Man macht eine Pfütze, gräbt ein Loch und nutzt das gesammelte Wasser in Trockenzeiten. Und was lernen wir daraus? Dass es keine Landwirtschaft gibt, die besser ist als eine andere, dass alle etwas zu lernen haben, dank ihrer eigenen Traditionen, ihres Know-hows und ihrer Technologien.

Und was halten Sie vom wichtigsten neuen Thema, der regenerative Landwirtschaft?

Wenn ich mit Berufsverbänden, Landwirten vor Ort usw. spreche, nehme ich immer deutlicher eine wachsende Sensibilität für eine wirklich nachhaltige Landwirtschaft wahr, die die organische Substanz im Boden anreichert und die Artenvielfalt schützt.  

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